30/11/2013

Unbekannte Nebenabsprache im Koalitionsvertrag zu Lasten der Arbeitnehmer

https://twitter.com/karllauterbach
Viel versprochen, nichts erreicht, entsprechend sein Twitter-Auftritt


Quelle: Frankfurter Rundschau 30.11.2013
http://www.fr-online.de/bundestagswahl---hintergrund/grosse-koalition-protokollnotiz-soll-spd-koedern,23998104,25473128.html

"Nicht alle Sozialdemokraten sind vom Koalitionsvertrag überzeugt. Um auch die Zweifler ins Boot zu holen, treffen die Koalitionäre eine Nebenabsprache, die erst mit Verspätung bekannt wird.

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD ist eine tickende Zeitbombe für die gesetzlich Krankenversicherten. Denn die SPD stimmte der Forderung der Union zu, den Beitragssatz der Arbeitgeber bei 7,3 Prozent einzufrieren. Eine Regelung, die ein zu starkes Auseinanderdriften von Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil verhindert, wurde nicht vereinbart.

Damit müssen die Arbeitnehmer alle künftigen Kostensteigerungen in der Krankenversicherung selbst zahlen. Das ist problematisch für die SPD, hatte sie doch im Wahlkampf versprochen, Parität herzustellen, also gleiche Sätze für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Unbekannte Nebenabsprache
Da die Sozialdemokraten derzeit darum kämpfen, dass ihre Mitglieder dem Koalitionsvertrag zustimmen, setzte hier in den vergangenen Tagen offenbar ein Umdenken ein. SPD-Unterhändler Karl Lauterbach machte nämlich öffentlich, dass es eine bislang unbekannte Nebenabsprache im Koalitionsvertrag gebe, eine „Protokollnotiz“: Beide Seiten seien sich natürlich einig, dass der Arbeitnehmeranteil gedeckelt werden müsse. Überschreite dieser einen bestimmten Prozentsatz, dann müsse zum Ausgleich auch der Beitrag der Arbeitgeber angehoben werden, um eine Überlastung der Beschäftigten zu vermeiden, betonte der SPD-Gesundheitsexperte.

Ohne ein konkretes Modell zu nennen, bestätige CDU-Unterhändler Jens Spahn am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung im Prinzip Lauterbachs Darstellung: Allen Beteiligten sei klar, dass der nur vom Arbeitnehmer zu zahlende Beitrag „nicht einseitig ins Unendliche steigen kann“.

Interessanterweise kennen andere – auch hochrangige – Teilnehmer der Verhandlungen über den Gesundheitsbereich keine Nebenabsprachen und schon gar keine konkreten Modelle, mit denen ein Anstieg der Belastung abgebremst werden soll. Es wird sogar der Verdacht geäußert, die Erklärung sei jetzt erst nachgeschoben worden, um der SPD aus der Bredouille zu helfen. Offenbar habe die SPD-Seite zunächst nicht erkannt, dass dieses Thema möglicherweise für die Mitglieder ein Problem sein könnte.

Die gemeinsame Erklärung von Spahn und Lauterbach kann allerdings nicht beruhigen. Denn beide Politiker bestätigen darin, dass der Arbeitgebersatz in der gesamten Legislaturperiode eingefroren bleibt. „Wir sind uns einig, dass der gesetzlich festgeschriebene Arbeitgeberanteil von 7,3 Prozent in dieser Legislaturperiode nicht steigen wird.“ Die Zusage, dass die Belastung der Arbeitnehmer nicht ins Unendliche steigen dürfe, machten sie nur für die Zeit nach der laufenden Wahlperiode.

Dabei könnte es schon in den kommenden vier Jahren zu einer starken einseitigen Belastung kommen. Denn die Kostendynamik in der gesetzlichen Krankenversicherung ist stark. Nach Berechnungen des Instituts für Mikrodatenanalyse wird bereits 2015 ein Defizit von rund sechs Milliarden Euro zu decken sein. Damit müsste der Beitrag für die Versicherten rechnerisch von heute 8,2 Prozent im Schnitt auf etwa 8,8 Prozent steigen.


2017 wird das Defizit den Berechnungen zufolge bereits bei 15 Milliarden Euro liegen, was auch von den Krankenkassen für realistisch gehalten wird. Der Arbeitnehmeranteil müsste dann auf fast 10 Prozent klettern. Der Unterschied zwischen den Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer läge dann bereits bei 2,7 Prozentpunkten. Bei einem Einkommen von zum Beispiel 3000 Euro würde der Arbeitnehmer so 300 Euro im Monat zahlen, der Arbeitgeber aber nur 219 Euro.

Aber es könnte sogar noch schlimmer kommen. Denn nach allgemeiner Überzeugung haben Union und SPD mit der Abschaffung des bisher auf Euro und Cent lautenden Zusatzbeitrags eine Schleuse geöffnet. Bislang haben die Krankenkassen mit aller Macht versucht, diese Kopfpauschale zu vermeiden. Denn die Kassen, die sie zeitweise erheben müssten, machten leidvolle Erfahrungen: Ihnen rannten die Mitglieder in Scharen davon. Deshalb gab es in den vergangenen Jahren eine hohe Ausgabendisziplin. Diese könnte nun gelockert werden, was dem Beitragssatz einen zusätzlichen Schub geben könnte. Leidtragenden wären allein die Versicherten."